Es braucht nicht viel: Ein klirrendes Geräusch, ein beißender Geruch – schon sehe ich mich zurückversetzt in die Nacht des 9. November 1938. Ich spüre noch immer die Hand meines Vaters. „Nicht stehen bleiben, Charlotte!“, hat er mir eingeschärft.
Überstürzt sind wir aus unserer Wohnung geflohen, irren durch die Straßen. Wir sind auf der Flucht – mitten in meiner Heimatstadt.
Um uns herum sind Lärm und Geschrei, Scherben und Flammen und immer wieder das Johlen: „Juda verrecke!“
Ich war damals nicht überrascht. Diese Nacht kam nicht aus heiterem Himmel. Das Gefühl der Ausgrenzung und Entrechtung kannte ich bereits.
Stigmatisierung und Diffamierung hatte meine Kindheit geprägt. Das Bewusstsein, im negativen Sinne etwas Besonderes zu sein, war alltägliche Erfahrung geworden.
Wir Judenkinder durften uns nicht mehr frei bewegen, geschweige denn sich für einen Moment auf einer Bank niederlassen.
Längst war meinen ehemaligen Spielkameraden der Kontakt mit mir, dem „Judenkind“, verboten.
Alleine in dieser einen Nacht fanden mehr als 400 Juden den Tod – durch die Hand der Nazis, oder sie nahmen sich angesichts der drohenden Gewalt selbst das Leben.
Selbst Teile der NS-Führung waren überrascht von der Gewaltwelle. SS-Größen wie Heinrich Himmler wollten subtiler gegen die Juden vorgehen und intervenierten bei Hitler. Der stoppte am nächsten Morgen die Exzesse, nahm aber Goebbels, den Lenker der Aktion, vor Kritik in Schutz – wohl, weil der am Abend zuvor selbst das Pogrom befohlen hatte.
Heute ist kaum einem Deutschen mehr bewusst, welch glühende Patrioten die Mehrheit der deutschen Juden im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts waren. Stolz und voller Hoffnung hatten sie sich jahrzehntelang assimiliert. Zehntausende zogen freiwillig im Ersten Weltkrieg für ihr Vaterland an die Front. Das Ausland reagierte geschockt auf die Gewaltnacht. Mehr als 100 Protestnoten gingen in Berlin ein, die USA zogen ihren Botschafter ab, in immer mehr Ländern wurden deutsche Produkte boykottiert. Selbst der im Exil weilende (und durchaus antisemitisch eingestellte) Ex-Kaiser Wilhelm II. stellte fest: „Ich bin vollkommen entsetzt über die jüngsten Ereignisse zu Hause!“. Das Nazi-Regime zog Konsequenzen und vermied künftig, dass die Bevölkerung Zeuge wurde von offener Gewalt gegen Juden. Hitler ging in der Folgezeit lieber auf gesetzlichem Wege gegen die Juden vor – und später durch die systematische Vernichtung in Konzentrationslagern. Strafrechtlich hatten die Täter ohnehin nichts zu fürchten. Goebbels wies die Justiz an, nicht zu ermitteln. Insgesamt verloren in der Zeit der Nationalsozialisten etwa 6 Millionen jüdische Menschen, hunderttausende Sinti und Roma, aber auch politische Gegner (zB Kommunisten, Sozialdemokraten) und andere Regimekritiker und Homosexuelle sowie Menschen mit Behinderungen durch die Hand der NS- Schergen ihr Leben. UND HEUTE?
Wer demokratisch gewählt wird, muss nicht demokratisch sein.
Das zeigt das Beispiel der AfD ziemlich deutlich.
Die selbsternannte Alternative für Deutschland betreibt Wahlkämpfe, ihre Vertreter*innen haben parlamentarische Ämter inne und sie tritt als „bürgerliche“ Partei in einem demokratischen System auf.
Die AfD bezeichnet sich selber gerne als „Volkspartei“. Ihre politischen Ziele versucht sie dabei jedoch mit hetzerischen und rassistischen Worten und Inhalten gegen politisch-ideologische Feindbilder auf parlamentarischer, wie auch gesellschaftlicher Ebene umzusetzen.
„Immerhin haben wir jetzt so viele Ausländer im Land, dass sich ein Holocaust mal wieder lohnen würde.“ – Chatprotokoll Marcel Grauf.
Demokratiefeindlichkeit bedeutet Propaganda gegen Menschenrechte, Gleichheit, Gewaltenteilung und Freiheit. Ein zentraler Unterschied der AfD zu demokratischen Parteien ist, dass sie nicht die Staatsbürger*innen anspricht, sondern „das Volk“. Jenes von ihnen konstruierte Volk: weiße Hautfarbe mit deutschem Hintergrund – stünde einer angeblich korrupten Machtelite gegenüber und müsse sich wehren. Die AfD impliziert gleichzeitig, dass andere Kulturen und Menschen nicht so wertvoll seinen, wie die Deutsche. „Das Pack erschießen oder zurück nach Afrika prügeln.“ – Dieter Görnert, AfD oder: „Ich würde niemanden verurteilen, der ein bewohntes Asylantenheim anzündet.“ Marcel Grauf, Referent von Dr. Christina Baum, AfD und Heiner Merz, AfD.
Zur Strategie der AfD gehört es, demokratische Prinzipien anzuzweifeln und Misstrauen in die Verfassung zu säen. Sie impliziert mit ihren Aussagen, dass Vertreter*innen demokratischer Parteien korrupt und inkompetent seien (links-grün versifft). Häufig nutzt die AfD und ihre Vertreter*innen zur Untermauerung ihrer Propaganda Verschwörungsmythen. Wie zum Beispiel, dass die Medien- und Presselandschaft von linken Eliten geleitet würde.
Dass gendern und das Einstehen für LGBTQI*-Rechte lediglich dem vermeintlich bösen Plan diene, um das weiße-deutsche Volk zu verweichlichen und auszurotten. „Und da hat mein Freund Dr. Gauland 100-prozentig Recht – solche Menschen müssen wir selbstverständlich entsorgen“ Petr Bystron, AfD. Oder, dass die Corona-Pandemie von langer Hand von bösen Eliten geplant gewesen sei, um demokratische Völker zu unterjochen.
„Wir müssen ganz friedlich und überlegt vorgehen, uns ggf. anpassen und dem Gegner Honig ums Maul schmieren aber wenn wir endlich soweit sind, dann stellen wir sie alle an die Wand. (…) Grube ausheben, alle rein und Löschkalk oben rauf.“ Holger Arppe, AfD.
So hat es damals auch angefangen
Wir fragen uns:
Wo stehen wir?
Was wird sein mit unseren LGBTIQ- Menschen?
Was wird sein mit den seit Jahren hier lebenden und arbeitenden People of Color?
Was wird sein mit unseren körperlich und geistig beeinträchtigten Menschen?
Was wird sein mit unseren alten Menschen?
Was wird sein mit unseren emanzipierten und selbstbestimmten Frauen? Was mit unseren Enkelkindern?
Demokratie schützen, JETZT und GEMEINSAM