Guten Tag sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Inge Schumacher. Ich bin Mitglied im Sprecherkreis des Dürener Bündnisses. Wie schön, dass Sie sich Zeit für die Aktion „5 vor 12“ nehmen.
Heute möchten wir uns mit dem Thema „Bildung“ auseinandersetzen.
Was hat Bildung mit Demokratie zu tun? Nun, eine ganze Menge.
Das Recht auf Bildung zählt zum einen zu den Errungenschaften der Demokratie, zum anderen ist der demokratische Staat auf eine breite Bildung seiner Bevölkerung angewiesen, denn sie schafft die Voraussetzungen dafür, dass Menschen fähig sind, als Bürgerinnen und Bürger das öffentliche Leben aktiv mitzugestalten.
Trotz seiner gerade in einem rohstoffarmen Land großen Bedeutung, spielt das Thema „Bildung“ bei politischen Debatten in Deutschland eine viel zu geringe Rolle. Aktuell drängen sich Kriege, Wirtschaftskrise und vor allem Migration in den Vordergrund. In den vergangenen Jahrzehnten wurde aber bereits versäumt, für eine den Herausforderungen unseres Jahrhunderts angemessene personelle und finanzielle Ausstattung des Bildungssystems zu sorgen, und das obwohl die Ergebnisse von Pisa-Studien und Bildungsberichte wiederholt erkennen ließen, dass dringend Handlungsbedarf besteht.
Mit dem Thema „Bildung“ lassen sich aber nun mal keine Wahlkämpfe gewinnen, weil weder die Ergebnisse bildungspolitischer Entscheidungen noch deren Versäumnisse sich innerhalb einer Legislaturperiode erkennen und messen lassen, sondern erst langfristig Wirkung zeigen. Dazu kommt, dass gerade die sogenannten Bildungsverlierer keine Lobby haben.
Worin bestehen denn eigentlich die Hauptprobleme unseres Bildungssystems?
Der Anteil der jungen Menschen, die nicht über hinreichende Basiskompetenzen am Ende einer Bildungsstufe verfügen, ist anhaltend hoch bzw. steigt sogar. So werden von inzwischen rund 20 % der Grundschüler Mindeststandards in Deutsch, Lesen und Mathematik nicht erreicht. Damit sind die Voraussetzungen für anschlussfähiges Lernen in anderen Fächern und höheren Klassenstufen nicht gegeben und später ist der Zugang zu einer erfüllten Berufstätigkeit oder sogar zur Erwerbsfähigkeit oft nicht möglich.
Noch deutlich schwerwiegender gerade mit Blick auf eine sich zunehmend spaltende Gesellschaft ist die hohe soziale Ungleichheit von Bildung. Schulerfolg ist weiter und sogar noch zunehmend abhängig vom Elternhaus. Das ist nicht hinnehmbar und erfüllt gewiss nicht den Anspruch einer gut funktionierenden Demokratie.
Während nur 32 Prozent der Kinder aus ärmeren und bildungsferneren Familien eine Gymnasialempfehlung erhielten, waren es 78 Prozent der Kinder aus privilegierten Familien. Auch später setzt sich die Ungleichheit laut Bildungsbericht fort. So nehmen unter Akademikerkindern 78 von 100 Kindern ein Studium auf. Bei Kindern von Eltern ohne akademischen Abschluss sind es dagegen nur 25 von 100 Kindern. Die Unterschiede prägen sich nicht erst mit Schuleintritt aus, sondern manifestieren sich bereits im frühen Kindesalter. Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund die Kitas besuchen ist deutlich geringer, bei frühkindlichen Bildungsangeboten, in Musikschulen und Sportvereinen ist der Anteil von Kindern mit Eltern mit höherem Kontostand oder Bildungsgrad deutlich höher. Schon die Dauer von Vorlesezeiten im Kleinkind- und Vorschulalter unterscheidet sich stark und ist ein Indikator für den späteren Schulerfolg. Die Voraussetzungen von Erstklässlern sind so unterschiedlich, dass selbst bei größtmöglichem Engagement der Lehrkräfte kaum eine angemessene Förderung für alle möglich ist. Während sich die einen kaum selbstständig aus- und ankleiden können, nicht in der Lage sind, auch nur kurz ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu richten, keinen Stift halten können, lesen und schreiben andere bereits Wörter oder einfache Texte.
Der bundesweite Bürgerrat Bildung und Lernen hat im vergangenen Jahr eine Reihe von Empfehlungen vorgestellt, wie mehr Chancengleichheit im Bildungssystem zu erreichen ist. Die zentrale Formel des Gremiums lautet: früher, besser und länger gemeinsam lernen.
- Eine inzwischen getroffene Maßnahme ist die Verabschiedung des sogenannten „Startchancenprogramms“. Nordrhein-Westfalen erhält daraus für mehr als 900 Schulen in schwierigen sozialen Lagen in den kommenden Jahren finanzielle Unterstützung in Milliardenhöhe. Zu den ersten 400 ausgewählten Schulen gehören in Düren die Gesamtschule Heinrich-Böll, die Martin-Luther-Schule, die Paul-Gerhardt-Schule, die Südschule, die Hauptschule Burgauer Allee und die Matthias-Claudius-Schule. Bei der Auswahl der Schulen wurden zwei zentrale Kriterien berücksichtigt: der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationsgeschichte sowie die Armutsgefährdung. Ein Schritt in die richtige Richtung. Doch Geld alleine genügt nicht. Es muss auch gelingen ausreichend pädagogischen Fachkräfte zu finden.
- Wie es gelingen kann, vorschulische Förderung zu verbessern, muss dringend diskutiert werden. Ist ein verbindliches Vorschuljahr für alle zielführend? Ist es notwendig und möglich das letzte Kita-Jahr verpflichtend zu machen?
- Ob ein Wechsel in eine weiterführende Schule bereits nach 4 Jahren sinnvoll ist, gehört ebenso dringend auf den Prüfstand.
- Ganztagsbetreuung muss noch stärker ausgebaut und vor allem qualitativ verbessert werden. Kinder dürfen nicht bloß verwahrt werden, damit sichergestellt ist, dass ihre Eltern einer Erwerbsarbeit nachkommen können, sondern es müssen ihnen gute und ihren Potenzialen entsprechende Angebote gemacht werden.
- Ein kostenloses, gesundes Frühstücks- und Mittagessensangebot in Kitas und Schulen würde eine gute Grundlage für den Lernalltag schaffen und dazu beitragen, die durch zunehmende Fehlernährung entstehenden Gesundheitskosten zu reduzieren.
Zuletzt noch ein paar Sätze zur Demokratie als Lerninhalt:
Der Soziologe Oskar Negt sagte einmal: „Demokratie ist die einzige Staatsform, die gelernt werden muss.“
Dazu reicht die Vermittlung von Wissen über Demokratie als Staatsform und von Werten wie Menschenwürde, Freiheit, Solidarität und Minderheitenschutz nicht aus. Unterrichtsgänge und -fahrten zum Haus der Geschichte in Bonn, dem ElDe-Haus in Köln, Vogelsang, KZ-Besuche sollten sie ergänzen und in Schulprogrammen festgeschrieben werden.
Schule muss Raum schaffen, um demokratische Prozesse einzuüben, zu diskutieren, Positionen auszutauschen und mitzubestimmen. Oft passiert es, dass gerade die Unterrichtszeiten, die diesen Raum geben könnten, wegen anderer vermeintlich dringenderer Belange ausfallen oder anders genutzt werden. Doch für die Entwicklung zum mündigen Bürger ist das Erlernen von Mitbestimmen, Mitgestalten undd Mitverwalten genauso wichtig wie der Erwerb ausreichender Kenntnisse in Mathe, Deutsch und Englisch.
Bildungspolitik, die sicherstellt, dass alle Menschen die bestmöglichen Kompetenzen erreichen können, ist die beste Sozial- und Wirtschaftspolitik und trägt wesentlich zu Erhaltung der Demokratie bei.
Höhere Investitionen sind nicht nur notwendig, sondern zahlen sich aus.