Die AfD ist eine Partei, die es allen recht machen will: Den „kleinen Leuten“, den Familien und den Unternehmern. Doch dafür sind einige Forderungen der Partei erstaunlich unsozial. Für wen sich die AfD wirklich einsetzt – dieses Video klärt auf.
#1 – Die AfD und Steuern
Die AfD möchte das Steuerrecht vereinfachen. Klingt erstmal gut, doch was steckt dahinter? In ihrem Wahlprogramm spricht die Partei eher schwammig von einem Stufen-Modell (Quelle: Grundsatzprogramm der AfD, S. 74). In einem Interview konkretisiert Frauke Petry, der Reformvorschlag sei angelehnt an die Idee von Paul Kirchhof. Das von Paul Kirchhof entwickelte Modell sah seinerzeit vor, dass alle Einkommensarten nach dem gleichen Tarif besteuert werden – egal ob Löhne, Unternehmensgewinne oder Kapitalerträge. Jahreseinkommen bis 10.000 Euro sollten danach steuerfrei sein, anschließend gab es zwei Stufen à 15 und 20 Prozent. Für alle Jahreseinkommen ab 20.000 Euro sollte ein Steuersatz von 25 Prozent gelten. Dieser Prozentsatz war nach dem damaligen Kirchhof-Modell gleichzeitig auch der Spitzensteuersatz. Sämtliche Ausnahmen und Privilegien sollten nach diesem Ansatz gestrichen werden. Dazu sollten auch die Pendlerpauschale und die steuerfreien Sonn- und Feiertagszuschläge gehören.
➩ Das Kirchhof-Steuermodell im Check
Mit solch einem Stufen-modell würden Spitzenverdiener entlastet, die Schere zwischen Arm und Reich sich weiter öffnen. Hohe Einkommen würden deutlich entlastet. Wenn für die oberen Einkommen nur noch solch niedrige Steuersätze gelten, befürchten Experten massive Einnahmeausfälle für den Staat. Diese Steuerausfälle müssen finanziert werden, durch Mehrwertsteuererhöhungen, Verbrauchsteuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen, was die “kleinen Leute” stärker trifft als die Reichen. Steuerexperte Dr. Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) sieht das Kirchhof-Modell kritisch: „Nach unseren Analysen werden die Reichen am stärksten entlastet. Und das nicht nur absolut, sondern auch relativ zum Einkommen, das heißt, die Einkommensverteilung wird ungleicher.“
Zwar sagt die AfD nicht ausdrücklich, dass das Kirchhof-Modell 1:1 umgesetzt wird und sie auch die von Kirchhof entwickelten Steuersätze favorisiert. Aber schon der prinzipielle Ansatz des Stufenmodells erweist sich als unsozial.
#2 – Keine Erbschaftssteuer für Superreiche
Die Partei schreibt in ihrem Programm, sie möchte die Erbschafts- und Vermögenssteuer abschaffen (Quelle: Grundsatzprogramm der AfD, S.75).
➩ Worum es bei der Erbschaftssteuer geht
Bis zu 300 Milliarden Euro werden in Deutschland nach Berechnungen des DIW jährlich vererbt oder verschenkt. Die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer, die alleine den Bundesländern zugute kommen, belaufen sich aber in 2015 auf lediglich 6,3 Milliarden Euro. Zurecht wird Omas kleines Häuschen mit großzügigen Freigrenzen von der Erbschaftssteuer befreit. Aber Superreiche und besonders Firmenerben können sich durch ein unübersichtliche Vielzahl von Ausnahmen sowie niedrige Steuersätze vor einer gerechten Besteuerung ihrer Erbschaften drücken.
Verfassungsrichter Reinhard Gaier nennt die Ausgestaltung der Steuerbefreiung für Firmenerben gar eine „Subventionierung des Großkapitals“. Deshalb fehlen in den Kassen der Länder Milliardenbeträge, um dringend nötige Investitionen in Bildung, Pflege, Straßenbau oder den öffentlichen Nahverkehr zu finanzieren.
Geht es nach der AfD würden in Zukunft Superreiche gar keine Erbschaftssteuer mehr zahlen. Noch mehr Geld würde der öffentlichen Hand für Investitionen fehlen und die soziale Ungleichheit würde weiter verschärft. Für NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) geht es bei der Erbschaftssteuer um das Austarieren der richtigen Mitte: „Wer zig Millionen erbt, der hat Vorteile im Leben, und die Gesellschaft, die Allgemeinheit hat durchaus einen Anspruch, dass sich jemand mit einem so großen Erbe – wir reden also nicht von kleinen Handwerksbetrieben, sondern von zweistelligen Millionenbeträgen, dass sich jemand auch an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligt.“
#3 – Verlängerte Lebensarbeitszeit, Mindestlohn und Rente
Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry bezieht im Interview mit Der Welt am Sonntag eine klare Position: Die Deutschen sollen länger als bisher arbeiten. Zudem müssten Rentner/innen Kürzungen hinnehmen. Dies nennt sie selbst „brutal“ – und doch führe kein Weg daran vorbei. Sie fordert stattdessen einen „innerfamiliären Zusammenhalt“, um den Sozialstaat zu entlasten.
➩ Was bedeuten Rentenkürzungen?
Bei den Rentnern sparen und die Altersabsicherung zur Privatangelegenheit machen? Fatal, denn schon jetzt können viele Menschen kaum von ihrer Rente leben. 15,6 Prozent der Rentner/innen in Deutschland gelten als armutsgefährdet. Der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverband Ulrich Schneider schätzt die Situation kritisch ein: „Da braucht nur mal ein Kühlschrank kaputt gehen. Aber auch für Vergnügen reicht das Geld nicht. Kein Kaffee und Kuchen, kein Theater, keine Weihnachtsgeschenke für die Enkelkinder.“
Die Pläne von Frauke Petry, die Lebensarbeitszeit zu verlängern und die Renten zu kürzen, würden viele Menschen treffen. Vor allem viele Menschen, die schon jetzt wenig Geld im Portmonee haben. Statt an den Renten zu sparen, sollte Politik und Gesellschaft Menschen im Alter unterstützen. „Es ist nicht so, als würde Deutschland wirtschaftlich zusammenbrechen, nur wenn man das Rentenniveau stabilisiert – das ist Unfug“, so Verbandschef Schneider.
Unklare Aussagen: Die AfD und der Mindestlohn
Die AfD und der Mindestlohn – ein ewiges Hin und Her. Nach dem Protest einiger Mitglieder wurde die Ablehnung des Mindestlohns aus dem AfD-Grundsatzprogramm auf Bundesebene gestrichen. Doch im Wahlprogramm der Berliner AfD taucht die Ablehnung des Mindestlohns wieder auf (Wahlprogramm AfD Berlin 2016, S.28). Steht die Partei nun zum Mindestlohn oder will sie Menschen für weniger als 8,50 Euro die Stunde arbeiten lassen? Selbst eine, die es wissen müsste, kann diese Verwirrung nicht lösen: Beatrix von Storch – AfD-Bundesvorsitzende und eine der beiden Landesvorsitzenden in Berlin. Als Journalisten bei ihr nachhaken, wie die AfD denn nun zum Mindestlohn stehe, verwickelt sich von Storch in Widersprüche. Eine eindeutige Antwort bleibt aus.
#4 – Anerkennung und Unterstützung von Familien
Die AfD schreibt in ihrem aktuellen Grundsatzprogramm, dass sie sich gegen alle Versuche wendet, Alleinerziehende als fortschrittlich oder gar erstrebenswerten Lebensentwurf zu propagieren (Quelle: Grundsatzprogramm der AfD 2016, S.44). Damit werden „Einelternfamilien“ als nicht „normal“ an den Rand gedrängt. Sicher, es gibt auch heute Familien mit Vater, Mutter und drei Kindern. Aber die Wirklichkeit ist vielfältiger. Es gibt Alleinerziehende Mütter und Väter, Patchwork-Familien, berufstätige Mütter oder gleichgeschlechtliche Paare. Auch diese Lebenskonzepte gehören dazu.
➩ Wie geht es Alleinerziehenden in Deutschland?
Die Realität zeigt: schon heute befinden sich viele Alleinerziehende in einer prekären Situation. „Mehr als ein Drittel (35,2 Prozent) der Personen aus Alleinerziehendenhaushalten gilt als armutsgefährdet„, erklärt Christian Woltering, Referent für fachpolitische Grundsatzfragen beim Paritätischen Gesamtverband.
Im Armutsbericht 2016 des Paritätischen heißt es:
Die Hälfte aller in Armut lebenden Kinder wächst bei Alleinerziehenden auf. Bemerkenswert ist hier, dass die Armutsquote der Alleinerziehenden steigt, obwohl ihre Erwerbstätigenquote seit Jahren zunimmt. Das heißt: Arbeit schützt nicht unbedingt vor Armut.
Es ist die Aufgabe von Politik und Gesellschaft alle Familienformen anzuerkennen und Gleichwertig zu fördern. Eine Benachteiligung von Alleinerziehenden, nur weil eine Partei sich auf altmodische Familienformen beruft? Das darf nicht sein.
Die AfD ist weit weg von den „kleinen Leuten“
Sozialleistungen sollen gekürzt und die Erbschaftssteuer für Superreiche abgeschafft werden. Familien, die von der klassischen Konstellation Vater-Mutter-Kind abweichen, werden gesellschaftlich an den Rand gedrängt. Sozial geht anders.